Das Institute of Science and Technology Austria (ISTA) in Klosterneuburg hat sich innerhalb eines Jahrzehnts in der Weltspitze der Grundlagenforschung etabliert. Bei der Verwertung von Forschungsergebnissen orientiert sich das ISTA an Vorbildern wie der ETH Zürich und dem Weizmann-Institut. Oliver Lehmann, Head of Stakeholder Relations, erklärt das Erfolgsmodell.
hub: Welche Rolle spielt Bildung in Zeiten, in denen sich Berufsbilder rasant schnell ändern?
Oliver Lehmann: Bildung ist die Energiequelle jeder zukunftstauglichen Gesellschafts- und Wirtschaftsentwicklung – und zwar unabhängig von materiellen Ressourcen. Die Korrelation zwischen klugen Bildungsausgaben und der Fähigkeit zur Bewältigung von gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Herausforderungen ist verblüffend. Gerade die HKSÖL-Region praktiziert mit dem dualen Ausbildungssystem ein weltweit erfolgreiches Beispiel der Berufsausbildung.
hub: Was muss eine Universität oder eine Forschungseinrichtung heute bieten, damit sich Innovationskraft und Engagement bündeln?
Lehmann: Bedingungslose Orientierung an den Massstäben der Exzellenz in Lehre, Forschung und Administration. Regionen wie Silicon Valley, Cambridge, Tel Aviv und nicht zuletzt Zürich beweisen, dass es exzellente Forschungsuniversitäten sind, die die Zentren der technologischen Kraftfelder bilden, in denen sich Hightech-Firmen bevorzugt ansiedeln. Der heutige Erfolg von Apple, Google, Hewlett Packard und Co. basiert auf den Aktivitäten der Universität Stanford im heutigen Silicon Valley vor 50 Jahren. Von dort kamen und kommen nicht nur die Ideen, sondern vor allem auch das hervorragend ausgebildete Personal, um diese Ideen umzusetzen. Das Wechselspiel zwischen academia und Industrie ist für beide Teile extrem anregend und profitabel.
Ein weiterer, in Kontinentaleuropa oft noch unterschätzter Aspekt ist die Rolle der Philanthropie. Spenden sind nicht bloss eine Art der materiellen Unterstützung, sondern sind in mindestens ebenso grossem Ausmass Ausdruck der Anerkennung für ein kluges Konzept. Gerade private Spender:innen signalisieren damit der öffentlichen Hand, dass Grundlagenforschung auf zwei Säulen ruht: Auf Exzellenz. Und auf Unabhängigkeit. Nur wenn eine Forschungsuniversität beide Faktoren glaubhaft praktiziert, werden sich potenzielle Spender:innen zu einer philanthropischen Spende entschliessen.
Mit unserer Capital Campaign „Be a Giant“ bündeln wir unsere Aktivitäten auf diesem Feld. Innerhalb der nächsten fünf Jahre wollen wir 100 Millionen Euro für ein Endowment (deutsch etwas unscharf als Stiftungskapital bezeichnet) generieren. Die Erlöse aus diesem Endowment sollen langfristig zur Forschungsfinanzierung beitragen und so die Unabhängigkeit des ISTA von politischen oder gesellschaftlichen Einflüssen festigen. Der Bund belohnt jede Spende, indem er sie verdoppelt. Und Spender:innen können den Betrag in der Steuererklärung geltend machen. Zusammengefasst: Seit einem Jahrzehnt leistet das ISTA Pionierarbeit bei der Realisierung von Spitzenforschung in Österreich und in Europa. Ab sofort auch bei der Finanzierung.
hub: Stichwort „Forschung und Lehre“ – hat sich dieses Zusammenspiel bei erfolgreichen Universitäten in den letzten Jahren verändert?
Lehmann: Exzellente Wissenschaftler:innen werden am ISTA so früh wie möglich zu Professor:innen mit eigenen Budgets und allen Freiheiten ernannt, damit sie ihr selbst erstelltes Forschungsprogramm ideal umsetzen können. Die Studierenden sind dabei vollwertige Mitglieder der Forschungsgruppe. Curiositydriven Research ist das Zauberwort. Deren Ergebnisse lassen sich nur schwer voraussagen. Wenn sie aber eintreffen und sich verwerten lassen, sind ihre Auswirkungen wirklich weltbewegend, siehe Halbleiter, DNA-Struktur oder künstliche Intelligenz. Unsere Absolvent:innen sind pluripotente Problemlöser:innen, die nicht nur in ihrem eigenen Feld spannende Erkenntnisse erarbeiten, sondern dank ihrer interdisziplinären Fertigkeiten, die wir am ISTA konsequent fordern und fördern, in ganz unterschiedlichen komplexen Themen tätig werden können.
hub: Wie wirtschaftsnah muss eine Universität sein?
Lehmann: Das müssen die Träger:innen oder die Universität selbst entscheiden. Klar ist aber, dass Universitäten ein enormes Potenzial für ökonomische Anwendungen bergen, wie wir am ISTA selber wissen. Grundlagenforschung per se lebt von der Wissbegierde exzellenter Forscher:innen, die ohne Vorgaben jene Fragen untersuchen, die ihnen am wichtigsten scheinen. Das steht aber nicht im Widerspruch dazu, diese Erkenntnisse kommerziell zu verwerten. Das israelische Weizmann-Institut ist ein Musterbeispiel für die erfolgreiche Lizenzierung und Patentierung von geistigen Eigentumsrechten (Intellectual Property Rights, IPR). Dem ISTA ist es in den ersten zehn Jahren gelungen, den Nukleus eines solchen Verwertungsbiotops zu etablieren, Technologiepark und VC-Fonds inklusive.
hub: ISTA ist sehr international ausgerichtet, die gemeinsame Sprache ist Englisch. Wie konnte ein so internationales Institut im kleinen Österreich entstehen?
Lehmann: Durch breiten politischen Konsens im Bund, die mutige Entschlossenheit des Landes Niederösterreich, die grosse Unterstützung der Industrie und vor allem durch das visionäre Gründungskonzept von drei extrem erfahrenen Forschungsmanagern, nämlich Haim Harari vom Weizmann-Institut, Hubert Markl von der Max-Planck-Gesellschaft und Olaf Kübler von der ETH Zürich. Apropos: Die Schweiz demonstriert mit der ETH Zürich seit 1855, dass die Qualität einer wissenschaftlichen Einrichtung nicht zwingend mit der Grösse des Landes zusammenhängt; ebenso Israel mit Einrichtungen wie dem Weizmann-Institut, dem Technion und der Hebrew University.
hub: Wie positioniert sich ISTA in Bezug auf Innovationen?
Lehmann: Bereits im Gründungskonzept war der Aufbau eines unternehmerischen Umfelds vorgesehen. Das haben wir konsequent realisiert: Der 2019 in Betrieb genommene Technologiepark mit 5.000 m2 Bruttogeschossfläche und 13 Start-ups wird wegen grosser Nachfrage demnächst erweitert. Der VC-Fonds IST Cube wurde im Herbst 2021 mit 45 Millionen Euro geschlossen, wobei sich sowohl private wie institutionelle Investor:innen daran beteiligt haben. Mit anderen Worten: We are open for business.
hub: Welche Schwerpunkte werden gesetzt?
Lehmann: In der Forschung werden alle grossen Felder der Naturwissenschaften praktiziert, also Physik, Chemie, Lebenswissenschaften und Hirnforschung, Mathematik und Computerwissenschaften. Entscheidend ist die gelebte Interdisziplinarität, weil gerade an den Schnittstellen der Felder die verblüffendsten Erkenntnisse erlangt werden. Im Technologiepark und den ersten Start-ups, die vom IST Cube finanziert werden, liegt der Schwerpunkt des Portfolios auf den Life-Sciences und künstlicher Intelligenz.
hub: Wie stellen Sie sich das ISTA in zehn Jahren vor?
Lehmann: Dank der Finanzierungszusage des Bundes für die Jahre 2027-2036 in Höhe von 3,3 Milliarden Euro sowie der daran geknüpften Erlöse aus unserer Capital Campaign und der weiterhin erfolgreichen Einwerbung von Forschungsförderungsmitteln zählen wir 2032 zur Spitze der Grundlagenforschung in Mitteleuropa. Zusätzlich bilden wir das Zentrum eines technologiegetriebenen Kraftfelds, das hoch innovativen Unternehmen ein ideales Umfeld bietet.
hub: Vielen Dank für das Gespräch!
ISTA
Das Institute of Science and Technology Austria (ISTA) ist ein multidisziplinäres Forschungsinstitut mit Promotionsrecht, das sich der Spitzenforschung in den Bereichen Physik, Mathematik, Informatik und Life-Sciences widmet. Seit der Eröffnung des Campus in Klosterneuburg bei Wien 2009 hat sich das ISTA in der Weltspitze etabliert: Im weltweiten Nature-Ranking 2019 (normiert nach Grösse) belegt das ISTA Platz 3.
Oliver Lehmann ...
... Jahrgang 1964, absolvierte eine erfolgreiche Karriere als Wissenschaftsjournalist, Magazingründer, Chefredakteur und Herausgeber in Österreich, Deutschland und Grossbritannien, bevor er 2007 an das ISTA kam. Seit 2015 ist er Leiter der Abteilung für Stakeholder Relations. Der von ihm gegründete Wiener Ball der Wissenschaften im Rathaus gilt als „Wiens klügster Ball“ (Falter).
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