Im Bereich des Arbeitsrechts haben Österreich und die Schweiz viele Gemeinsamkeiten, es gibt aber auch Unterschiede. Ein solcher Unterschied besteht im System der Kollektivverträge bzw. in der Art und Weise, wie überbetriebliche Vereinbarungen verbindlich werden. Zu diesem Aspekt wollen wir in zwei Blogbeiträgen - mit Fokus gerichtet auf Österreich und die Schweiz- kurz eingehen. Diese Woche befassen wir uns mit dem Thema „kollektivvertragliche Regelungen in Österreich“.
In Österreich versteht man unter einem Kollektivvertrag eine Vereinbarung, die zwischen kollektivvertragsfähigen Arbeitgeber einerseits und Arbeitnehmerverbänden andererseits abgeschlossen wird. Auf Arbeitgeberseite kollektivvertragsfähig sind insbesondere die Fachverbände bzw. Fachgruppen der Wirtschaftskammerorganisation. Auf Seite der Arbeitnehmer sind dies insbesondere der Österreichische Gewerkschaftsbund (ÖGB) bzw. deren Fachgewerkschaften.
Daneben gibt es auch private Arbeitgeberverbände und Kammern (bspw. für die Banken- und Versicherungsbranche sowie auch im Bereich der freien Berufe, wie Rechtsanwälte, Notare etc.) die für ihre jeweiligen Mitgliedsbetriebe/Mitglieder Kollektivverträge abgeschlossen haben.
Allen Kollektivverträgen ist gemeinsam, dass sie in Ergänzung zu den bestehenden gesetzlichen Regelungen in erster Linie Rechte und Pflichten der Arbeitgeber und Arbeitnehmer aus dem Arbeitsverhältnis regeln. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang, dass von den Regelungen des Kollektivvertrages abweichende arbeitsvertragliche Vereinbarungen nur dann gültig sind, wenn der Kollektivvertrag diesbezüglich nichts anderes vorsieht und für den Arbeitnehmer günstiger sind.
Geltungsbereich:
Ein Kollektivvertrag ist in seinem räumlichen und persönlichen Geltungsbereich für alle Arbeitgeber, die dem abschließenden Arbeitgeberverband als Mitglieder angehören oder zum Zeitpunkt des Kollektivvertragsabschlusses angehört haben und die bei einem solchen Arbeitgeber beschäftigten Arbeitnehmer verbindlich.
Das trifft in Österreich – insbesondere aufgrund der verpflichtenden Kammermitgliedschaften – auf sehr viele Beschäftigungsverhältnisse zu, wenngleich es auch einzelne Bereiche gibt, für die noch kein Kollektivvertrag abgeschlossen worden ist.
Mit dem Erwerb einer Gewerbeberechtigung ist die Mitgliedschaft bei der entsprechenden Fachorganisation in der Wirtschaftskammerorganisation verbunden. Hat diese Fachorganisation einen Kollektivvertrag abgeschlossen, ist die lückenlose Geltung des Kollektivvertrages im betreffenden Wirtschaftszweig gewährleistet.
Man kann also etwas überspitzt sagen, dass in Österreich fast jedes Arbeitsverhältnis einem Kollektivvertrag unterliegt. Welcher Kollektivvertrag auf das Arbeitsverhältnis anzuwenden ist, hängt davon ab, zu welchem Arbeitgeberverband der Arbeitgeber angehört. Keine Rolle spielt es hingegen, ob der Arbeitnehmer der am Kollektivvertragsabschluss beteiligten Gewerkschaft angehört. Irrelevant ist es auch, welchen Beruf der Arbeitnehmer erlernt hat bzw. tatsächlich ausübt. Ein gelernter Frisör, der in einem Restaurant arbeitet, unterliegt dem Kollektivvertrag für Angestellte im Gastgewerbe.
Es gilt der Grundsatz, dass ein Arbeitsverhältnis immer nur einem Kollektivvertrag unterliegt. Für den Fall, dass ein mehrfach kollektivvertragsangehöriger Arbeitgeber über zwei oder mehrere Betriebe hat, für die unterschiedliche Gewerbeberechtigungen gelten, findet auf die Arbeitnehmer der jeweils dem Betrieb in fachlicher und örtlicher Beziehung entsprechende Kollektivvertrag Anwendung. Ist der Betrieb selbst in Betriebsteile oder sonst organisatorisch oder fachlich abgegrenzte Betriebsabteilungen strukturiert, ist jener Kollektivvertrag anzuwenden, der dem jeweiligen Betrieb bzw. Betriebsteil fachlich oder örtlich entspricht. Wenn aber eine organisatorische Trennung innerhalb eines Betriebes nicht vorliegt, ist jener Kollektivvertrag anzuwenden, der dem Wirtschaftszweig entspricht, der für den Betrieb die maßgebliche wirtschaftliche Bedeutung hat.
Beispiel: Ein Unternehmen betreibt mit 3 Mechanikern eine Kfz-Werkstätte mit angeschlossenem Gebrauchtwagenhandel. Der Werkstättenumsatz übertrifft das Handelsgeschäft aber bei weitem. Daraus folgt, dass alle Mitarbeiter, inklusive dem Verkaufspersonal, dem Gewerbekollektivvertrag unterliegen. Liegt weder eine organisatorische Trennung noch eine maßgebliche wirtschaftliche Bedeutung vor, ist jener Kollektivvertrag zur Anwendung zu bringen, dessen Geltungsbereich unbeschadet der Verhältnisse im Betrieb die größere Anzahl von Arbeitnehmern erfasst.
Nächste Woche werfen wir einen Blick auf die in der Schweiz geltenden Regelungen in Bezug auf die kollektivvertraglichen Bestimmungen. Abonnieren Sie den Blog jetzt, um keinen Beitrag zu verpassen.
Autor: Lic. iur. Michael Pérez
Michael Pérez ist Rechtsanwalt und Partner bei PRP Rechtsanwälte. Er hat seine juristische Ausbildung in der Schweiz abgeschlossen und war anschließend für einige Jahre in der Schweiz als Rechtsanwalt tätig. Seine Anwaltszulassung in Österreich erhielt er im Jahre 2006 und betreut seither von Wien aus speziell Mandanten mit bilateralen Verbindungen in die Schweiz und nach Österreich nach dem „One-Stop-Shop“-Prinzip. Der Fokus ist hier vor allem auf Rechtsfragen rund um Betriebsansiedlungen sowie grenzüberschreitende Vertriebs- und Handelstätigkeiten angelegt.
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