Sinkende Geburtenrate, Überalterung, Teilzeitfalle - das Pensionssystem stößt an seine Grenzen und der „Generationen-Vertrag“ wackelt. Wie schafft man den gerechten Spagat zwischen Beitragszahlenden und Pensionsbeziehern und welche Reformen dazu nötig sind, darüber diskutierten bei der „Top Speakers Lounge“ auf Einladung der Handelskammer Schweiz-Österreich-Liechtenstein bei BDO Austria Wolfgang Mazal (Universität Wien), Ralph Müller (Vorstandsvorsitzender Wiener Städtische Versicherung), Klaus Tschütscher (Ex-Regierungschef des Fürstentums Liechtenstein), Sophie Wotschke (JUNOS-Bundesvorsitzende) und Thomas Neumann (Partner, BDO Wien).
Wien, am 16. Oktober 2024. Österreichs Pensionssystem steht auf tönernen Füßen. 2022 kamen auf eine Person über 65 Jahren noch drei Personen im Alter von 20 bis 64 Jahren, bis 2060 wird sich das Verhältnis auf 1,8 reduzieren. 2022 flossen exakt 13,7 Prozent des BIP in die Pensionszahlungen, 2045 werden es 14,2 Prozent sein. Zum Vergleich: In der Schweiz lag dieser Anteil 2021 bei ca. 11,8 Prozent. Die Gründe für das immer schwerer finanzierbare System sind vielfältig: Das heimische Pensionsniveau ist im internationalen Vergleich sehr hoch, die betriebliche Altersvorsorge dagegen schwach ausgeprägt und das Pensionsantrittsalter ist in Österreich sehr niedrig. Während die Schweizer und Schweizerinnen durchschnittlich mit 64,6 in Pension (Frauen nur geringfügig früher als Männer) gehen, liegt in Österreich der Pensionsantritt aktuell bei 62 (Männer) bzw. 60 Jahren (Frauen).
Wie man diese Preisspirale aus hohen Pensionen, niedrigem Antrittsalter und der geringen Bereitschaft, privat vorzusorgen, durchbrechen könnte, diskutierte in der „Top Speakers Lounge“ der Handelskammer Schweiz-Österreich-Liechtenstein eine hochkarätige Expertenrunde. Moderation: Valerie Hauff-Prieth, VHP Consulting.
Leben auf Kosten der nächsten Generation
Auf den „richtigen Mix zwischen staatlicher und privater Vorsorge“ setzt der Pensions- und Sozialrechtsexperte der Uni Wien, Wolfgang Mazal:
„Man liest oft die Aussage: ,Es geht sich eh alles aus!`Die Prognosen zeigen eindeutig eine besorgniserregende Tendenz. Wichtig ist, was bis 2050 geschieht. Hier wird die nächste und übernächste Generation stark belastet. Außerdem gibt es neue Themen, die auf uns zukommen: Pflege, Integration, Arbeitsmarktpolitik, innere und äußere Sicherheit. All dies ist nur wenig ausfinanziert. Die Beschäftigung Jüngerer ist zu niedrig. Dazu kommt das Bedürfnis nach Work-Life-Balance. Gesamtgesellschaftlich sehe ich zu wenig Konsens in der Analyse und in der Ausrichtung der weiteren Entwicklung. Meines Erachtens geht es hier um das gesamtgesellschaftliche Mindset und nicht nur um mathematische Formeln. Wenn sich die Umgebungsparameter – Globalisierung, Technologie, Demografie – massiv ändern, muss auch das Pensionssystem auf die Höhe der Zeit gebracht werden!“
Dass uns die Zeit davonläuft, sieht auch Ralph Müller, Vorstandsvorsitzender Wiener Städtische Versicherung:
„Ich glaube, wir haben ein Riesenproblem, eine Staatsverschuldung von 80 Prozent, ein Budgetdefizit weit über Maastricht. Wir sind nicht mehr krisenfest. Das staatliche System steht unter großem Druck und gleichzeitig sind die zweite und dritte Säule extrem schlecht ausgebaut. Die demographische Entwicklung schafft zudem Ungerechtigkeiten für die nächste Generation. Es wird zu einer Frage des Glücks, ob man dort geboren wird, wo es viele Rentner gibt oder nicht. Wie riskant ist indes die private Altersvorsorge? Wie wahrscheinlich ist es denn, dass sie in 50 Jahren mit einem weltweiten Index Geld verlieren? Wenn dieser extrem unwahrscheinliche Fall eintritt, dann ist auch das Umlageverfahren nicht mehr tragbar.“
Ein Problem mit der Attraktivität des Standorts Österreich verortet Thomas Neumann, Partner bei BDO Austria:
„Unsere Kunden suchen händeringend Personal und finden es nicht, hier würden ältere, erfahrene Leute zum Teil gut passen, aber auch erwerbstätige Pensionisten müssen wieder Beiträge zahlen. Es rentiert sich derzeit für sie nicht, länger zu arbeiten.“
Auch die zweite und dritte Säule könnte man durch Steuervergünstigungen deutlich attraktiver gestalten.
„Wir haben Fälle, wo deutsche Konzerne in Österreich eine 2. Säule für die österreichischen Mitarbeiter finanzieren wollen. Wenn sie aber die steuerlichen Rahmenbedingungen dafür in Österreich sehen, winken sie ab. Es fehlen Anreize für eine starke zweite Säule. Zudem haben wir 20 Jahre nichts zur nachhaltigen Finanzierbarkeit der Pensionen gemacht, jetzt ist es höchste Zeit“, so Neumann.
Regierung weigert sich, Pensionssystem zu reformieren
Die Frage der fehlenden Anreize treibt auch Sophie Wotschke (JUNOS-Bundesvorsitzende) um:
„Junge Leute wissen oft nicht, wofür sie arbeiten sollen. Vieles, wie zum Beispiel der Traum vom ersten Eigenheim, ist aus eigener Kraft schlicht nicht mehr erreichbar. Die Politik schafft hier keine Perspektiven und setzt falsche Anreize. Auch das Pensionssystem ist nicht zukunftsfit. Die Lösungsvorschläge, um unser Pensionssystems nachhaltig und generationengerecht zu machen, liegen aber am Tisch. In Schweden kann man zum Beispiel selbst entscheiden, wann man in Rente geht, und bekommt bei einem späteren Pensionsantritt eine höhere Pension. Trotzdem weigert sich die Regierung, entgegen der Empfehlungen der Experten und des Rechnungshofes, das Pensionssystem zu reformieren. Weil sie nämlich Angst haben, sonst Wähler zu verlieren und weil die Mehrheit der Österreicher das Problem im Pensionssystem nicht als dringlich empfindet. Wenn man diese Politik also ändern will, muss man zuerst die Meinung und das Problembewusstsein in der Gesellschaft ändern.“
Klaus Tschütscher (Ex-Regierungschef des Fürstentums Liechtenstein):
„Ich glaube, dass die Unternehmen bereit wären, die zweite Säule zu stärken, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Das Drei-Säulen-System à la Schweiz schafft einen guten Risikoausgleich. Die zweite Säule bedeutet Kapitaldeckungsverfahren und für viele Schweizer ist der größte Vermögenswert die zweite Säule, nicht das Haus und nicht das Aktienportfolio. Das sagt viel über die Widerstandsfähigkeit der Gesellschaft aus. Die Einführung der 2. Säule wurde ursprünglich von Unternehmen getrieben, die ihre soziale Verantwortung wahrgenommen haben und für ihre Mitarbeitenden vorsorgen wollten. Wir sprechen heute über 1.000 Milliarden Schweizer Franken Aktiva, die bislang einbezahlt wurden. Ganz wesentliche Parameter der 2. Säule sind in Liechtenstein entpolitisiert, wie z.B. die Mindestverzinsung der Einlagen. Die Festlegung der Höhe liegt in der Verantwortung des Stiftungsrats der Pensionskassen. Diese Errungenschaft gilt es zu verteidigen. Die Schweiz hatte eine Abstimmung über die 13. AHV-Rente. Das war eine Kehrtwende gegen alle Warnungen. Das ist ein Ausfluss aus ganz Europa nach dem Motto: Koste es, was es wolle. Wir haben in der Schweiz die Aufgabe, den Weg der langfristigen Finanzierung wieder in die Köpfe zu bringen.“
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Fotos © Robin Consult Fellner
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