Arbeitsraum = Lebensraum
Im Gespräche mit Thorsten Heiling, Geschäftsführer Vitra Österreich

09.02.2021
Homeoffice Schneiderin / Vitra Eames Plastic Armchair
Homeoffice Schneiderin (Bild: Vitra)

Thorsten Heiling, Geschäftsführer Vitra Österreich, über die Bürowelten der Zukunft und wie neue Arbeitsweisen sich auf räumliche Bedürfnisse auswirken.

hub: Die Arbeit ist im Umbruch. Alle reden nur von Homeoffice. Aber wie ist die Realität in den Büros jetzt. Was tun Firmen, um sicheres Arbeiten zu ermöglichen? Wie sind die Flächen ausgelastet?

Thorsten Heiling: Homeoffice ist Teil eines Gesamtkonzeptes, einer Hybridlösung, die aus Office und Homeoffice besteht - das ist die neue Realität in der Arbeitswelt. Standard und Realität war - vor Corona - eine Auslastung bei den Büros von 60-70%, da Mitarbeiter in den Ferien, im Krankenstand oder unterwegs bei Kunden waren. Unternehmen wie Mitarbeiter haben erkannt, dass manche Tätigkeiten von zu Hause gut machbar sind, während andere Aufgaben nur im Team gelöst werden können. Aus dieser Erkenntnis ergeben sich die Neugestaltung des Arbeitsalltags und die zuvor erwähnten Hybridlösungen. Klar ist, dass Videokonferenzen, Streamings etc. nie einen persönlichen Austausch oder eine Diskussion im realen Raum ersetzen. 

Das Büro wird zukünftig noch mehr zum Treffpunkt, um sich auszutauschen und um Impulse für neue Projekte und Tätigkeit geben zu können. Kollaboratives Arbeiten steht im Vordergrund. Daher werden, meiner Meinung nach, die Doppelarbeitsplatz-Zimmer hinter verschlossenen Türen einer offenen Bürostruktur mit Begegnungszonen und unterschiedlichsten Arbeitsplätzen weichen müssen, um die Kommunikation und den Austausch zu unterstützen und das implizierte Wissen abrufen zu können. Das Büro der Optionen lässt genügend Platz zwischen den einzelnen Bereichen. Einsparungen in der Fläche gibt es keine, da die Bereiche weitläufiger und einer höheren Vielfalt den Mitarbeitern zur Verfügung gestellt werden. Konzentriertes Arbeiten, das keinen intensiven Austausch verlangt, passiert dann im Homeoffice. Vitra arbeitet bereits an der Umsetzung neuer Konzepte und wir experimentieren bei den eigenen Arbeitsplätzen, um den Firmen und deren Mitarbeitern Konzepte und Lösungen erprobt vorleben und auch zukünftig als Partner passender Arbeitsweisen zur Seite stehen zu können…dieses Konzept nennen wir „Club Office“.

hub: Wie verschieben sich Prioritäten bei der Einrichtung der Büros? Sitzen Menschen jetzt länger oder kürzer?

Heiling: Die Menschen gehen besser mit ihrem Zeitmanagement um. Es wurde erkannt, dass die „Pendel-Zeit“, die aufgewendet wird, um danach wieder „nur vor dem Rechner seine Arbeit zu machen“, wegfällt bzw. anders genutzt werden kann. Die Mitarbeiter entscheiden selbst, wann es sinnvoll ist, zu Hause konzentriert zu arbeiten oder sich im Büro auszutauschen und als Team aktiv zu sein. Dementsprechend sollten Büros flexibel auf die jeweiligen Bedürfnisse des Einzelnen oder der Gruppe eingehen können. 

hub: Viele Unternehmen bieten ja flexible Büros mit Stehtischen, ruhigen Bereichen für Telefonate... Das ist alles für gemeinsame Nutzung ausgelegt. Wie kann man weiterhin mit solchen flexiblen Plätzen umgehen?

Darin liegt die Zukunft und diese Konzepte müssen weiter ausgebaut werden. Die Möglichkeit, unterschiedliche Optionen in einem Büro je nach Tätigkeit wählen zu können, ermöglicht effizient und entspannt seiner Arbeit nachzugehen. Nur so kann ein Unternehmen eine Heimat für die Leute sein, in die man gerne kommt. 
 
hub: Wie wichtig ist das Büro für Identität von Unternehmen und Marke? 

Heiling: Wir befinden uns mitten in einem Prozess des Umdenkens. Diese Fragen beschäftigen die Unternehmen gerade intensiv: Was kann ich für jeden einzelnen Mitarbeiter tun? Wie schaffe ich es, in Zeiten wie diesen die Motivation der Leute aufrecht zu erhalten? Was muss ich als Führungsperson oder Inhaber machen, um die Werte meines Unternehmens nicht nur nach Außen sondern auch intern vermitteln zu können? Das Büro wird zum Treffpunkt, um sich auszutauschen und um Impulse für  die unterschiedlichen Aufgaben der Kollegen zu geben. Kollaboratives Arbeiten steht im Vordergrund

Aus dieser neuen Haltung ergibt sich auch die Identität, denn wer kann das Unternehmen besser repräsentieren als zufriedene/motivierte Mitarbeiter!? Motivation steigert auch die Produktivität. Durch die Identifizierung mit dem Unternehmen und den Werten wird jeder Mitarbeiter zum Aushängeschild und lädt Bekannte und Geschäftspartner ins eigene Büro ein, damit die den Spirit sehen und fühlen können … das ist der Best Case, an dem wir gemeinsam mit einem Projektteam in der Konzeptionierung der Räumlichkeiten arbeiten.

hub: Welche Rolle spielt Großraum gerade? Ist es ein Pferdefuß oder eine Chance?

Heiling: Gerade Großraumbüros lassen sich jetzt ideal den flexiblen Anforderungen der Mitarbeiter  - und auch den aktuellen gesundheitlichen Anforderungen - anpassen. Transversale Nutzung steht im Vordergrund, um den Usern alle Optionen geben zu können. Flächen werden am Vormittag für einen Workshop und am Nachmittag als Arbeitsplätze genutzt…frei nach dem Motto „die einzige Konstante ist der Wandel“. Wichtig ist eine simple Handhabung des zu verschiebenden Mobiliars.

hub: Abseits von Corona: Was werden wir Ihrer Meinung nach sehen, wenn wir in zehn Jahren in ein modern konzipiertes Büro gehen?

Heiling: Das Büro ist ein hochdigitalisierter Raum mit vielfältigen Nutzungsoptionen. Covid hat uns bewusst gemacht, dass sich unsere Wirklichkeit vollkommen unerwartet und sehr rasch verändern kann. Niemand weiß, wie sich die Pandemie langfristig auf die Arbeitswelt auswirkt. Ob hier noch klassische Schreibtische und Drehstühle streng geordnet stehen, ist jedoch zu bezweifeln…ein Büro als Heimat und Kommunikationsplattform für Mitarbeiter wird es immer geben, ebenso das Bedürfnis nach zwischenmenschlicher Kommunikation und einer Zugehörigkeit (wie in unserem neuen Club Gedanken – um sich zu treffen). Das Design des Zuhauses beeinflusst jenes des Büros.

Mehr und mehr Unternehmen werden sich auch überlegen, ob sie ihre gesamten Flächen noch brauchen oder auf einen Teil verzichten können. Es können auch bestehende Flächen neu genutzt werden. Zum Beispiel hat in vielen Lobbys gähnende Leere geherrscht. Diese könnten besser bespielt werden – etwa indem man sie als Meeting-Flächen verwendet. Begegnungszonen – im Sinne von New Work-Konzepten – wird es weiterhin geben. Kleinere Meetingräume, die den aktuellen Sicherheits- und Hygieneanforderungen nicht gerecht werden, könnten beispielsweise als Telefon-Box genutzt werden.

Bei der Bürogestaltung und -einrichtung steht auf jeden Fall die Flexibilität im Vordergrund. Da die Zahl der digitalen Meetings zunehmen wird, wird insgesamt auch der Bedarf an Meetingräumen zurückgehen. Klar ist auch, dass das Büro persönlicher wird. Aus Hygienegründen könnten den Mitarbeitern eigene Stühle oder Tastaturen, die nur sie nützen dürfen, zugewiesen werden. Die Einzelboxen wird es im Großraumbüro kaum bis gar nicht mehr geben – nicht zuletzt deshalb, weil die Unternehmen für die Wertschätzung der Mitarbeiter sensibilisiert wurden.

Die große Frage ist natürlich, wie lange uns Covid-19 noch begleiten wird. Die Pandemie sorgt natürlich dafür, dass wir uns – was das Design von Möbeln und die Bürogestaltung betrifft – extrem anpassen müssen. Es kommen in dem Zusammenhang z. B. verstärkt Materialien zum Einsatz, die leichter zu handhaben sind. So kann Leder leichter abgewischt werden als Stoff. In Branchen wo Reinlichkeit gezeigt werden muss wird Kunststoff stärker zum Einsatz kommen.

 

Thorsten Heiling…
…. hat Produkt- und Möbeldesign studiert. Er ist seit seinen beruflichen Anfängen bei Vitra. Vom Junior Sales Manager stieg er Schritt für Schritt zum Geschäftsführer der Österreich-Tochter des Schweizer Design- und Möbelspezialisten Vitra auf.

Thorsten Heiling, CEO Vitra Österreich
Thorsten Heiling, Vitra
Bild: (c) Julian Mullan
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